Bei den weltweiten Pisa-Schultests werden die Fähigkeiten von Schülern ständig vergleichend geprüft. Während Japan, Finnland und Korea stets weit oben rangieren, schaffen es deutsche Jugendliche regelmäßig nur knapp bis ins obere Mittelfeld. Im vergangenen Jahr hat die OECD in 24 Industrieländern nun erstmals Erwachsene auf die Probe gestellt und die Lese-, Rechen- und Problemlösungs-kompetenzen der 16- bis 65-jährigen untersucht.
Allgemeinwissen und Alltagsaufgaben, Grundrechenarten, Prozentrechnen und Dreisatzaufgaben sowie grundsätzliches Textverständnis – in diesen Bereichen mussten die Erwachsenen zahlreiche Aufgaben lösen. Zum Beispiel diese: Zu sehen ist das Bild eines Thermometers, mit einer Skala für die Gradzahlen in Celsius und einer Skala in Fahrenheit. Die Frage dazu lautet: Welche Temperatur zeigt das Thermometer in Grad Fahrenheit an? Oder diese: Eine Grafik zeigt die Anzahl der Geburten in den USA von 1957 bis 2007. Die Daten sind jeweils im Abstand von 10 Jahren dargestellt. Die Aufgabe: Geben Sie an, in welchen Zeiträumen die Anzahl der Geburten zurückgegangen ist.
Klingt einfach? Für viele der Befragten waren solche Aufgaben offenbar zu schwierig. Fast 170.000 repräsentativ ausgewählte Erwachsene aus den USA, Russland, Australien und vielen europäischen Staaten nahmen an der von der OECD entwickelten Studie mit dem Titel „Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich“ teil.
Befragt wurden Erwachsene, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung in dem Teilnehmerland lebten, unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Muttersprache. Der Test erfolgte in der Amtssprache des jeweiligen Landes und bei den Teilnehmern zu Hause. Je nach Computerkenntnissen der Befragten mussten die Aufgaben an einem Laptop oder in gedruckten Testheften gelöst werden. In Deutschland wurden knapp 6000 Personen befragt – mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen.
Insgesamt liegen deutsche Erwachsene laut Studie im internationalen Vergleich im Durchschnitt. Ein genauer Blick auf die einzelnen Bereiche der abgefragten
Lösungskompetenzen offenbart aber gravierende Mängel.
Leseverständnis
Am schwächsten ist das Ergebnis für Deutschland bei der Lesekompetenz. Beim Verstehen, Interpretieren und Bewerten von Texten reichte es nur zu Platz 15 von 23. Lediglich etwa 11 Prozent der Teilnehmer erreichten eine der beiden höchsten Kompetenzstufen (4 und 5). Fast 18 Prozent landeten dagegen auf der Stufe 1 oder niedriger und verfügen damit lediglich über die Lesekompetenz eines zehnjährigen Kindes. Diese Befragten sind nur in der Lage, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu lesen und ihnen in stark begrenztem Maße Informationen zu entnehmen.
Beispielaufgabe: Kindergarten
(Bereich Lesekompetenz / mittlere bis leichte Schwierigkeit)
Sehen Sie sich die Liste mit den Kindergartenregeln an.
Beantworten Sie die folgende Frage: Um welche Uhrzeit
sollten die Kinder spätestens im Kindergarten eintreffen?
Kindergartenregeln
Willkommen in unserem Kindergarten! Wir freuen uns auf
ein großartiges Jahr mit viel Spaß, Lernen und gegenseitigem
Kennenlernen. Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit,
um unsere Kindergartenregeln durchzusehen.
Bitte sorgen sie dafür, dass Ihr Kind bis 10 Uhr hier ist.
Bringen Sie eine kleine Decke, ein Kissen und/oder ein kleines Stofftier für den Mittagsschlaf mit.
Ziehen Sie Ihr Kind bequem an und bringen Sie Kleidung zum Wechseln mit.
Bitte keinen Schmuck oder Süßigkeiten. Wenn Ihr Kind Geburtstag hat, sprechen Sie bitte mit der Erzieherin Ihres Kindes über eine besondere Zwischenmahlzeit für die Kinder.
Bitte bringen Sie Ihr Kind vollständig angezogen mit, nicht im Schlafanzug.
Bitte tragen Sie sich mit Vor- und Zunamen ein. Dies ist eine Zulassungsvorschrift. Vielen Dank.
Frühstück gibt es bis 8.30 Uhr.
Medikamente müssen sich in beschrifteten Originalverpackungen befinden und in den Medikamentenbogen eingetragen werden, der in jedem Gruppenraum ausliegt.
Falls Sie irgendwelche Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die Erzieherin Ihrer Gruppe oder an Frau Mahler oder Frau Baum.
Das beste Leseverständnis zeigten laut Studie die Menschen in Japan und Finnland. Die 16- bis 65-jährigen in diesen beiden Ländern haben gegenüber Gleichaltrigen in Deutschland im Durchschnitt einen Kompetenzvorsprung, der einer Lernleistung von vier bis fünf Schuljahren entspricht.
Bei Alltagsaufgaben, die mathematisches Verständnis erfordern, waren die Ergebnisse der deutschen Befragten im internationalen Vergleich etwas besser: Hier erreichten 14,2 Prozent die Stufen 4 und 5. Damit liegt Deutschland in diesem Bereich deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 12,5 Prozent.
Beispielaufgabe: Windkraftanlagen
(Bereich alltagsmathematische Kompetenz / höhere Schwierigkeit)
Lesen Sie den Artikel über Windkraftanlagen.
Beantworten Sie folgende Frage:
Wie viele Windkraftanlagen werden mindestens gebraucht,
um den vom Atomreaktor erzeugten Strom zu ersetzen?
Im Jahr 2005 legte die schwedische Regierung den letzten Atomreaktor im Kraftwerk Barsebäck still. Der Reaktor erzeugte pro Jahr eine durchschnittliche Energiemenge von 3.572 GWh elektrischer
Energie. In Schweden werden weiterhin Windparks mit Windkraftanlagen im Meer errichtet. Jede Windkraftanlage erzeugt rund 6.000 MWh elektrische Energie pro Jahr.
Zu Ihrer Information:
Elektrische Energie wird in Wattstunden (Wh) gemessen
1 KWh = 1 Kilo Wh = 1.000 Wh
1 MWh = 1 Mega Wh = 1.000.000 Wh
1 GWh = 1 Giga Wh = 1.000.000.000 Wh
Auch in dieser Kategorie schafften es knapp 19 Prozent nicht über grundlegendste Anforderungen hinaus. Jeder sechste Deutsche kann demnach Aufgaben in den Bereichen Zählen, Sortieren und Grundrechenarten nur auf allerniedrigstem Niveau lösen.
Mit Problemlösungen via Computer hat der OECD zufolge der größte Anteil der Erwachsenen Probleme. So haben in Deutschland zum Beispiel mehr als 10 Prozent der Testpersonen keinerlei Erfahrungen mit Computern bzw. können keine Computer-Maus bedienen. Die meisten Befragten waren lediglich in der Lage, mit vertrauten Anwendungen umzugehen oder einfache Probleme zu lösen, wie zum Beispiel das Einsortieren von E-Mails in bereits angelegte Ordner.
Beispielaufgaben: Internet und Computer
(Bereich Problemlösungskompetenz neue Technologien)
Aufgabe I:
Finden Sie auf der Internetseite einer Bücherei ein Buch mit der Aussage, dass Behauptungen für und gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel häufig gleichermaßen unzuverlässig sind.
Aufgabe II:
Sie suchen einen Job und haben dazu fünf Internetseiten gefunden. Sie möchten eine Seite nutzen, bei der Sie sich nicht anmelden und auch keine Gebühren zahlen müssen. Speichern Sie alle Seiten als Lesezeichen, die ihre Anforderungen erfüllen.
Komplexere Aufgaben beherrschte nur ein gutes Drittel (36 Prozent) der Teilnehmer. Dazu gehören das Navigieren über Webseiten und das Finden eigenständiger
Problemlösungen in mehreren Schritten.
Junge Erwachsene erzielen bessere Ergebnisse, als ältere – das ist eine Erkenntnis aus der PISA-Studie für Erwachsene. Auch in Deutschland ist der Abstand zwischen jungen und älteren Teilnehmer-Gruppen beträchtlich: Die besten Leistungen zeigten hier, wie fast überall auf der Welt, die 25- bis 34-jährigen Befragten. Die schlechtesten Ergebnisse erreichten dagegen die 55- bis 64-jährigen.
Noch wichtiger als das Alter ist in Deutschland für den Bildungserfolg aber die soziale Herkunft. Das wird auch durch die neue OECD-Studie wieder bestätigt. „In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab, wie hierzulande“, schreiben die Autoren. Teilnehmer der Studie, deren Eltern weder Abitur noch eine Berufsausbildung haben, kamen beim Textverständnis im Schnitt auf 54 Punkte weniger als jene, bei denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief hatte. Das entspricht einem Rückstand von fast 8 Schuljahren (7 Punkte = Lernvolumen eines Schuljahrs). Nur in den USA ist dieser Abstand noch größer.
Nur leichte Unterschiede zeigten sich in Deutschland bei den Ergebnissen für Teilnehmer mit und ohne Migrationshintergrund. Dabei sind die etwas schwächeren Leistungen der Befragten mit Migrationshintergrund laut Autoren der Studie darauf zurückzuführen, dass der Test nicht in der Muttersprache durchgeführt wurde. Nahezu keine Unterschiede gibt es dagegen bei den Ergebnissen von Männern und Frauen.
Zusätzliche Informationen zu diesem Thema und weitere Beispielaufgaben finden Sie hier:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der
Spiegel, Focus, Handelsblatt, n-tv
Die Studie der OECD ist hier veröffentlicht.
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