Warum lautbasiertes Lesenlernen nicht hilft

von Abigail Marshall

Ein klassischer Nachhilfe-Ansatz bei Legasthenie beruht auf einer intensiven Schulung in phonemischem Bewusstsein und lautierendem Lesen. Ein solcher Unterricht ist für viele Schüler aber ein mühsamer Prozess. Der Fortschritt ist oft langsam und hängt stark von Wiederholungen und übermäßigem Lernen ab. Obwohl sich die grundlegenden Dekodierungsfähigkeiten dadurch verbessern können, bleiben die Schüler oft trotzdem weit hinter dem Niveau der Klasse zurück und sind weiter zögerliche, stockende Leser.

 

Diese Schüler haben das Potenzial, selbstbewusste und fähige Leser zu werden, aber sie denken oder lernen nicht in der gleichen Weise wie solche Schüler, die sich auf typische Weise zu Lesern entwickeln. Werden sie deshalb mit Strategien ausgestattet, die an ihren eigenen Lernstil angepasst sind, kann es überraschend schnell Fortschritte geben. Davis-Berater haben im Rahmen eines einwöchigen Davis-Programms eine Verbesserung der Lesefähigkeit von sechs oder mehr Lernstufen dokumentiert – und zwar ohne, dass dabei versucht wurde, den Schülern lautbasierte Strategien beizubringen.1

Warum Schüler mit Legasthenie oft Schwierigkeiten mit lautierenden Lesestrategien haben

Die meisten Lehrer sind sich darin einig, dass Schwierigkeiten mit der phonologischen Dekodierung ein charakteristisches Merkmal von Legasthenie sind. Das erklärt, warum sich die meisten Studien zur Legasthenie so stark auf die Phonetik konzentrieren. Es erscheint sinnvoll, den Unterricht in eben dem Bereich zu intensivieren, in dem der Schüler auf den ersten Blick am stärksten zu kämpfen hat.

 

Diese Unterrichtsstrategie ist tatsächlich oft für solche Schüler gut geeignet, deren Leseschwäche darauf zurückzuführen ist, dass sie vor dem Eintritt in die Schule zu wenig auf das Lesen vorbereitet wurden. Kinder mit Legasthenie kommen dagegen selbst bei intensivster und sorgfältiger Anleitung nicht voran und werden deshalb oft als "Verweigerer" bezeichnet. Studien zeigen, dass 30 bis 50% der Kinder mit Lernschwierigkeiten in diese Kategorie fallen.2, 3

 

Das Ausbleiben einer Reaktion auf traditionelle Nachhilfe-Methoden ist bei Legasthenikern so verbreitet, dass es inzwischen sogar als anerkannte Alternative zu formalen diagnostischen Tests akzeptiert wird.4

Natürlich "widersetzen" sich diese Kinder nicht absichtlich gegen etwas. Sie kommen mit den phonetischen Strategien nicht klar, weil ihr Gehirn anders „verdrahtet“ ist. Sie sind einfach nicht in der Lage, den Klang der Sprache zu kategorisieren oder wie andere Schüler eine Verbindung von Klang und Bedeutung herzustellen. Forscher wissen heute, dass dieser Unterschied wahrscheinlich angeboren ist und bereits im frühen Kindesalter erkannt werden kann.5, 6

 

Gleichzeitig deuten Untersuchungen darauf hin, dass etwa 15% der Kinder mit Legasthenie nicht diese charakteristischen Schwierigkeiten mit der Phonetik haben. Vielmehr werden sie, wenn sie getestet und diagnostiziert werden, eine andere Unterart der Legasthenie aufweisen. Sie schneiden zwar gut ab bei Tests zur phonetischen Dekodierung, haben dafür aber Schwierigkeiten mit unregelmäßigen Wörtern, was auf eine visuelle oder sogenannte oberflächliche Legasthenie hinweist. Der auf Phonetik basierende Unterricht wird auch dieser Gruppe deshalb nicht helfen, da ihre Lesebarrieren woanders liegen. Fast zwei Drittel der Kinder scheinen eine Mischung aus beiden Arten von Legasthenie zu haben. Für sie ist der phonetische Unterricht bestenfalls nur eine Teillösung.7

Wie Schüler mit Legasthenie selbstbewusste Leser werden können

Trotz früher Schwierigkeiten beim Lesen werden einige Kinder mit Legasthenie als Jugendliche oder junge Erwachsene zu kompetenten Lesern. Hirnforscher, die diese spät aufblühenden Leser untersucht haben, haben ein überraschendes, aber gleichbleibendes Muster gefunden. Die Legastheniker, die zu guten Lesern werden, entwickeln alternative mentale Strategien und verlassen sich stärker auf die rechte Hemisphäre und die frontalen Regionen ihres Gehirns.8, 9

 

Eine Langzeitstudie mit Teenagern ergab, dass die Entwicklung solcher "kompensatorischen" Hirnwege das einzige Unterscheidungsmerkmal war, das eine genau Vorhersage ermöglicht, welche Schüler später fähige Leser werden.10 

 

Zusammengefasst werden Legastheniker dann zu guten Lesern, wenn sie lernen, andere mentale Strategien als die phonetische Dekodierung zu verwenden, um Lesekompetenz zu erlangen. Diese Strategien bauen auf den natürlichen Fähigkeiten der Schüler auf und ermöglichen ihnen, ihre Stärken zu nutzen und sie zu effizienten und präzisen Lesern zu machen.

Wie das Davis-Programm funktioniert

Der Davis-Ansatz vermittelt keine explizit phonetischen Dekodierungsstrategien, sondern bietet intensive, kurzfristige Beratung und Praxis in fast allen anderen Bereichen, aus denen Barrieren für Schüler mit Legasthenie entstehen können. Zu diesen Strategien gehören:

  • Spezifische, leicht erlernbare Techniken zur Fokussierung und Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit;
  • Sensibilisierung für interne Empfindungen im Zusammenhang mit Wahrnehmungsfehlern, wie z.B. Buchstabenumkehrungen, und für die Selbstkorrektur;
  • Ein umfassender Ansatz zur Lesebeherrschung durch das kombinierte Betrachten von Aussehen, Klang und Bedeutung von Wörtern;
  • Leseübungstechniken, um das Bewusstsein für Buchstabenfolge, Ganzworterkennung und Satzverständnis zu fördern.

Das Davis® Legasthenie Programm beinhaltet außerdem all die Techniken, die bekanntermaßen für den Erfolg am wichtigsten sind: Das Programm ist multisensorisch und ermöglicht dem Schüler, durch Tonmodellierung in Kombination mit Vokabelkenntnissen und Leseübungen zu lernen. Das Programm wird immer in einem persönlichen Kontext durchgeführt, wobei hochqualifizierte Berater direkt mit einem einzelnen Schüler arbeiten.

 

Mit Davis erscheint das Lernen einfach und natürlich. Eltern berichten üblicherweise, dass ihre Kinder erhebliche Fortschritte in Bezug auf Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl machen sowie verbesserte Lesefähigkeiten zeigen. Die Schüler erreichen im Rahmen eines einwöchigen Programms oft Fähigkeiten, die für ihre Klassenstufe üblich sind oder sogar darüber hinausgehen. Lesen macht plötzlich Spaß, wenn die Schüler das Folgeprogramm der Tonmodellierung und der Lesepraxis durcharbeiten.

 

Das Davis-Programm ist bahnbrechend und anders, aber es ist nicht neu. Es wurde erstmals bereits 1981 von seinem Entwickler Ronald Davis in Kalifornien eingesetzt. Fünfzehn Jahre später, nachdem er mit fast zweitausend Schülern gearbeitet und die erste Ausgabe seines Buches „Legasthenie als Talentsignal“ („The Gift of Dyslexia“) veröffentlicht hatte, begann Davis, andere in seinen Methoden zu schulen. Seitdem haben Hunderte von Fachleuten ein intensives Ausbildungsprogramm absolviert und wurden lizenziert. Das Davis-Programm wird inzwischen in mehr als 45 verschiedenen Ländern angeboten. Zehntausende Schüler jeden Alters haben davon profitiert. Tatsächlich sind einige Schüler, die in der Kindheit das Davis-Programm durchlaufen haben, inzwischen als Erwachsene selbst zu Davis-Beratern geworden.

 

Ursprünglich veröffentlicht 2013.

Ergänzt am 09. Mai 2019

Quellenangaben:

 

 1   Marshall, A., Smith, L., & Borger-Smith, S. (2009). Davis Program Average Reading Gains.

2    Torgesen, J.K. (2000) Individual Differences in Response to Early Interventions in Reading: The Lingering Problem of Treatment Resisters.Learning Disabilities Research & Practice, Vol. 15, Issue 1, pp. 55-64; Al Otaiba, S., and Fuchs, D. (2006)

3    Al Otaiba, S. & Fuchs, D. (2006) Who Are the Young Children for Whom Best Practices in Reading Are Ineffective? An Experimental and Longitudinal Study. Journal of Learning Disabilities, Vol 30, No. 3, pages 414-431.

4    Snowling, M. J. (2012), Early identification and interventions for dyslexia: a contemporary view. Journal of Research in Special Educational Needs. Vol 13, Issue 1, pages 7-14.

 5   Van Leeuwen, T., Been, P., et al. (2006). Mismatch response is absent in 2-month-old infants at risk for dyslexia. Neuroreport. Vol. 17, Issue 4, pp 351-355. van Leeuwen, T., Been, P., et al. (2008).

6    Two-month-old infants at risk for dyslexia do not discriminate /bAk/ from /dAk/: A brain-mapping study. Journal of Neurolinguistics. Vol 21, Issue 4, pp 333-348.

7    Wybrow, D. & Hanley, J.R. (2012, August). Subtypes of developmental dyslexia: Stanovich et al. (1997) revisited. Talk presented at BPS cognitive section conference, Glasgow.

8    Shaywitz S.E., Shaywitz B.A., Fulbright R, et al (2003). Neural Systems for Compensation and Persistence: Young Adult Outcome of Childhood Reading Disability. Biological Psychiatry 54:25-33.

 9   Horwitz B, Rumsey J.M., Donahue B.C. (1998), Functional connectivity of the angular gyrus and dyslexia. Neurobiology: 95: 8939-8944.

10    Hoeft F., McCandliss B.D., Black J.M/, et al (2011). Neural systems predicting long-term outcome in dyslexia. PNAS, Vol. 108, No. 1, pp 361-366.

 

 

 

www.dyslexia.com/davis-difference/davis-theory/when-phonics-doesnt-work/

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